Die grünen Lungen unserer Stadt
Man nennt sie die grünen Lungen der Stadt. Und dies völlig zu Recht. Die Umsicht der Stadtväter früherer Zeiten hat Wien eine Vielzahl solcher Erholungsgebiete beschert. Stadtpark und Volksgarten, Türkenschanze und Pötzleinsdorfer Schlosspark, der Burggarten und der Wertheimsteinpark, der Augarten und der Schweizergarten, Schönbrunn und natürlich der Prater – kein Wunder, dass sich rund um diese Ruhezonen die Menschen schon immer gerne angesiedelt haben.
Beitrag von Frühjahr 2019
Wien hatte eine Besonderheit, das war das sogenannte Glacis, also rundum freie Flächen vor der mittelalterlichen Stadtmauer, die ja erst Mitte des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde. Aber da war von Park noch keine Spur. Die landschaftliche Ödnis diente allein militärischen Zwecken: Man brauchte ein freies Schussfeld. Ein erster Versuch, den Einwohnern eine Art Auslauf zu verschaffen, war im 18. Jahrhundert die sogenannte Tabor-Allee, wo heute die Obere Augarten Straße verläuft. Sie diente als Korso, wie in Paris die Champs-Élysées oder die Berliner Lindenallee. Erst spät schuf man Grünflächen, die der Erholung dienten. Heute zehrt man beim Flanieren von dieser Voraussicht früherer Generationen.
Gründerzeit: Als die Bürger in Zinshäuser investierten
Bei unserem Spaziergang entdecken wir wahre Schmuckstücke von Fassaden, die diese Parkanlagen einrahmen. Zinshäuser sind es, Bürogebäude, Palais, Verwaltungsbauten – eine Fülle an Eindrücken, die man sammelt. In der sogenannten Gründerzeit, die um 1848 begann und bis zum Ersten Weltkrieg datiert wird, war nicht mehr der Adel für die rege Bautätigkeit verantwortlich, sondern das Bürgertum. Das typische Gründerzeitzinshaus war eine Form von Geldanlage, hatte eine repräsentative Straßenfassade und eine schlichte Hofseite. Die Raumhöhe betrug rund drei Meter, es gab Flügeltüren und Fischgrätparkett. Das WC war am Gang, ebenso die Bassena, also die einzige Wasserentnahmestelle. Im Zuge der zweiten Stadterweiterung um 1890 wurde der Gürtel angelegt, die Vororte wurden eingemeindet.
Zimmer, Küche, Kabinett – Bassena und WC am Gang
Damit war es auch mit der Behaglichkeit und Beschaulichkeit zu Ende. Die rasant steigenden Bodenpreise forcierten die Verwertung der verfügbaren Grundflächen, was mit einer Verschlechterung der Wohnqualität einherging. Die Fläche der großen Höfe zwischen den einzelnen Bautrakten schrumpfte zugunsten mehrerer kleiner Lichthöfe, um welche die Nebenräume, wie Kabinette und Toiletten, angeordnet wurden. Zimmer, Küche, Kabinett – die typische Kleinwohnung in den Außenbezirken Wiens entstand.
Natürlich gab es auch schon früher „Zinshäuser“, manche waren Palais aus dem Barock, mit allen Vor- und Nachteilen, die solche Umwidmungen und Umbauten mit sich brachten. Ein großzügiges Entrée mit einem breiten Stiegenaufgang und besonders weitläufigen, hohen und breiten Gängen zeichnete sie aus, dafür fehlte dieser Platz dann später, nach dem Umbau, als Wohnnutzfläche. Barockzinshäuser sind zwar besonders schön, aber selten effizient in der Flächenaufteilung.
Wer den Stadtpark durchwandert, wird am Heumarkt ein komplettes Ensemble biedermeierlicher Wohnhäuser erblicken, die durch keinerlei Bausünden späterer Epochen geschädigt oder auch nur beeinträchtigt worden sind. Sie vermitteln das beruhigende Gefühl von Behaglichkeit, wie wir Heutigen uns das Biedermeier eben vorstellen. So entstehen Bilder im Kopf, auch wenn sie historisch absolut nicht stimmig sind. Ein bekanntes Kaffeehaus am Eck, ein traditionsreicher Verlag im Nebenhaus, ein nicht minder renommiertes Gasthaus wenige Meter weiter. Eine beruhigende Wohngegend …
Erfolgreiche „Presse“-Kampagne für den Stadtpark
Übrigens: Dass es diesen Stadtpark überhaupt gibt, verdankt Wien dem beherzten Eintreten einiger Gemeinderäte, die 1860 den liberalen Bürgermeister Andreas Zelinka überzeugten, dass nicht jede Parzelle beidseits der künftigen Ringstraße mit Prachtpalais bebaut werden sollte. Zwischen den projektierten Häuserzeilen müsse Luft und Licht geboten werden. Aus dem Wunsch wäre nichts geworden, hätte nicht die damals noch junge „Presse“ eine Kampagne gestartet. Denn zufällig hieß ihr Besitzer August Zang. Und der war Gemeinderat und drückte dort sein Anliegen für einen Stadtpark durch. Der Stadterweiterungsfonds, der die Grundstücke ja zu horrenden Preisen anbot, war mit der kostenlosen Abtretung dieser 94.000 Quadratmeter an die Stadt Wien naturgemäß wenig happy. Schließlich mussten ja aus den Erträgnissen dieser Bauparzellen entlang des Prachtboulevards auch alle ärarischen Prunkgebäude errichtet werden, die der kaiserlichen Repräsentation dienten, von den Hofmuseen über Burgtheater und Hofoper bis zur Universität. Das Kriegsministerium bei der Urania kam übrigens als letztes Gebäude zu diesem Gesamtensemble. Die Fertigstellung schaffte man gerade noch rechtzeitig vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs.
Theophil Hansen und der Heinrichshof
Das berühmteste, auch luxuriöseste Zinshaus der Jahrhundertwende stellte zweifellos der Heinrichshof gegenüber der Oper dar. Dafür waren gleich sechs Parzellen nötig, die der Ziegelbaron Heinrich Ritter von Drasche erwarb und für deren Bebauung er 1860 den Architekturstar Theophil Hansen engagierte. Innerhalb von zwei Jahren entstand der riesige Bau, der einen ganzen Häuserblock umfasste und den begüterten Dauermietern einen – für damalige Zeiten – unvorstellbaren Luxus bot: fließendes Warmwasser, Badezimmer, WC, auf Wunsch Butler, zumindest Essens-Service rund um die Uhr. Für den Heldentenor Leo Slezak war dies wohl ausschlaggebend – der weltberühmte Mieter war ein begnadeter Gourmand. Leider wurde der Heinrichshof beim verheerenden Angriff der US-Bomber am 12. März 1945 fast total zerstört. Heute würde man die Ruine restaurieren, in den Fünfzigerjahren hatte man andere Sorgen. Und so starrt uns seit 1955 der uninspirierte Bau von Carl Appel, Georg Lippert und Alfred Obiditsch als neuer Opernringhof an. Es spricht für die Wiener, dass es davor wenigstens eine erbitterte mediale Auseinandersetzung über dieses formlose Unding gab. Viele Stimmen traten für einen Park gegenüber der Oper ein. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen.
Bei eben erwähntem Bombenangriff der Alliierten fiel 1945 auch der Philipphof bei der Albertina in Schutt und Asche. Unter dem Pflaster des Hrdlicka-Denkmals ruhen immer noch die Bombentoten von damals. Der Luftschutzkeller wurde zugeschüttet, die Zahl der Leichen – man spricht von Hunderten – bleibt unbekannt. Davor freilich war der Philipphof hinter der Oper ein bekannt nobles Zinshaus. Zu ebener Erd´ feine Geschäftslokale, in der Beletage über die gesamte Ebene der „Jockey-Club“, nobelster aller Herrenklubs in der Monarchie, mit Spiel- und Speisesälen, Bridge- und Billardzimmer, Rauchsalon und diskreten Séparées. Die oberen Stockwerke waren vermietet.
Prachtvolle Zinshäuser rund um den Dannebergplatz
Im dritten Wiener Gemeindebezirk, auf der Landstraße, findet sich eine elegante Wohngegend, wie man sie hier nicht vermuten würde. Es ist der Dannebergplatz, früher Arenbergring, um den sich spektakuläre Zinshäuser mit großbürgerlichen Wohnungen gruppieren. Diese Häuser sind größtenteils fünfgeschossig mit hübschen Fassadenreliefs, man findet sie auch am benachbarten Ziehrer- und Sebastianplatz. Die Verbauung dieses Viertels fällt in die Zeit zwischen 1900 und 1908, die Fassaden tragen späthistorische, teilweise sezessionistische Bauornamente. Architekturschüler von Otto Wagner fanden hier ein reiches Betätigungsfeld. In scharfem Kontrast erheben sich im Arenbergpark zwei Betonbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, schaurige Artefakte vergangener Zeiten. Vom einstigen Arenberg-Palais ist so gut wie nichts übriggeblieben. Dennoch bleibt der Park ein Dorado für bewegungshungrige Kinder – und nicht nur sie.
Zur Person
Prof. Hans Werner Scheidl arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.