Der Lagezuschlag – eine Analyse im Lichte aktueller Judikatur
Aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung zum Richtwertmietzins für Wohnungen in Altbauten (Baubewilligung vor 9. Mai 1945) veranlassen uns, Ihnen eine aktuelle Übersicht zur Zulässigkeit der Vereinbarung eines Lagezuschlags zu übermitteln.
Beitrag von Frühjahr 2020
Beurteilung der Lagequalität (Überdurchschnittlichkeit)
Ein Lagezuschlag ist zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich eine Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist, als die durchschnittliche Lage/Wohnumgebung (in welcher sich die sogenannte „mietrechtliche Normwohnung“ als Referenzwohnung für die Ermittlung des Richtwertmietzinses befindet).1 Entscheidend hierbei ist die allgemeine Verkehrsauffassung bzw. die Erfahrung des täglichen Lebens. Aktuelle Entscheidungen des OGH2 gehen davon aus, dass eine Ableitung alleine aus der Höhe der Grundkosten nicht zulässig ist. Daneben sind nämlich auch weitere Standorteigenschaften, wie etwa die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, Nahversorgungsmöglichkeiten, Bildungsinfrastruktur (Kindergärten, Schulen etc.) und die Nähe zu Ärzten und Apotheken sowie zu Naherholungsflächen ebenso maßgeblich. Erschwerend kommt hinzu, dass für die Feststellung der Überdurchschnittlichkeit – trotz eines landesweit einheitlichen Richtwerts und einheitlichen der Richtwertermittlung zugrunde gelegten Grundkostenanteils – kein Vergleich mit dem gesamten Wiener Stadtgebiet anzustellen ist, sondern ausschließlich mit jenen Teilen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und daher ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet darstellen.
Lagezuschlagsverbot im „Gründerzeitviertel“
Zu beachten ist das Lagezuschlagsverbot für sogenannte „Gründerzeitviertel“, wonach eine Lage bzw. Wohnumgebung mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, höchstens als durchschnittlich einzustufen ist und damit keinen Lagezuschlag rechtfertigt.3 Konkret bedeutet dies, dass in Wien so manche Wohnumgebung ungeachtet ihrer tatsächlichen Lagequalität alleine wegen bestimmter bau- und architekturhistorischer Tatsachen von einem Lagezuschlag ausgeschlossen ist. Diese wenig überzeugende und willkürlich anmutende Beschränkung war bereits Gegenstand einer Gesetzesbeschwerde beim VfGH, welche jedoch abgewiesen wurde.4 Zu einem „Nicht Mehr-Gründerzeitviertel“ mutiert eine Wohnumgebung nur dann, wenn nachgewiesen werden kann, dass durch Abbruch von Altbauten und/oder Schaffung von Neubauten der Anteil der von 1870 bis 1917 geschaffenen Gebäude auf unter 50 Prozent absinkt oder der Gebäudebestand der bereits im Zeitpunkt der Errichtung einen zeitgemäßen Ausstattungsstandard aufgewiesen hat, überwiegt.
Bekanntgabe der für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände
Laut Mietrechtsgesetz müssen die für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände dem Mieter in Schriftform bis spätestens bei Zustandekommen des Mietvertrags ausdrücklich bekanntgegeben worden sein. Wenngleich die Rechtsprechung5 eine schlagwortartige Angabe der den Wohnwert eines Gebäudes beeinflussenden Kriterien genügen lässt, empfiehlt sich große Sorgfalt, weil es sich um die Offenlegung gerade jener Umstände handelt, die überhaupt erst einen Lagezuschlag rechtfertigen.
Praktische Umsetzung
Die dargestellte aktuelle Rechtsprechung ist eine deutliche Abkehr von der bis zum Spätherbst 2017 herrschenden Überzeugung, wonach für die Zuerkennung eines Lagezuschlags ausreichend war, für die konkrete Wohnumgebung einen Grundkostanteil festzustellen, der den der Richtwertermittlung zugrunde gelegten Grundkostenanteil6 übersteigt. Diese Überzeugung wurde auch von der MA 25 in ihren Lagezuschlagskarten mit Empfehlungscharakter zum Ausdruck gebracht.
Aufgrund des in Wien relativ hohen Grundkostenniveaus wurden bis 2017 in nicht weniger als 58 Prozent aller Zählgebiete Lagezuschläge zum Richtwert behördlich anerkannt. Demgegenüber werden – der aktuellen höchstgerichtlichen Rechtsprechung folgend – zurzeit von der MA 25 nur mehr in 33 Prozent aller Zählgebiete Lagezuschläge zum Richtwert anerkannt.7 Damit ist greifbar, dass sich die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Lagezuschlags verschärft haben. In so manchem Gebiet, in dem man bis 2017 von der Zulässigkeit eines Lagezuschlags ausgegangen ist, bleibt ein derartiger Zuschlag mittlerweile versagt.
Ob im Falle einer Mietzinsüberprüfung das Gericht in seiner Beurteilung den Argumenten des Vermieters/der Vermieterin folgen wird, wird aufgrund der von der Rechtsprechung betonten Einzelfallbezogenheit der Entscheidungen8 nicht zuverlässig beantwortet werden können. Als schwierig wird sich der Beweis der Überdurchschnittlichkeit der Wohnumgebung dort erweisen, wo nach heutiger Einschätzung der MA25 ein Lagezuschlag nicht gerechtfertigt ist und daher von der Schlichtungsstelle der Stadt Wien nicht anerkannt wird. Vor diesem Hintergrund kann daher nur der Versuch unternommen werden, im Wege einer ausführlichen der schriftlichen Bekanntgabe der für einen allfälligen Lagezuschlag maßgebenden Umstände (also der für die Überdurchschnittlichkeit sprechenden Kriterien) einen Lagezuschlag möglichst überzeugend zu argumentieren.
Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Lagezuschlags:
- Kein Gründerzeitviertel bzw. Widerlegung
- Überdurchschnittliche Lagequalität
- Bekanntgabe zum Zeitpunkt der Mietvertragsabschlusses
1) § 16 Abs 4 Halbsatz 1 MRG
2) OGH 5 Ob 74/17v; OGH 5 Ob 158/18y.
3) § 2 Abs 3 Halbsatz 2 RichtWG
4) VfGH G 673/2015 ua.
5) RIS-Justiz RS0111201 [T2], RS0111820 [T3].
6) Im Bundesland Wien zurzeit EUR 299,97 je m² erzielbarer Nutzfläche
7) Siehe hierzu https://www.wien.gv.at/wohnen/wohnbautechnik/ahs-info/lagezuschlagskarte....
8) RIS-Justiz RS0117881 [T1Z
Zur Person:
Mag. Christoph Kothbauer arbeitete von 2003 bis 2010 als leitender Jurist einer Wiener Hausverwaltung, um danach im Jahr 2011 den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in einer ausgedehnten Lehr- und Vortragstätigkeit (u.a. für die FHW, die Universität Wien, die ÖVI-Akademie, die ARS, die WKO, die MANZ-Rechtsakademie sowie im Rahmen von Firmenschulungen, Inhouse-Seminaren und Webinaren flankiert von wissenschaftlichen Publikationen und Fachbeiträgen (u.a. für die Edition ÖVI sowie die Verlage MANZ und Linde).